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Mi – 13.11.2013 – 20 Uhr – GfZK: „Die friedfertige Nationalsozialistin?“

Am kommenden Mittwoch beginnt eine vierteilige Vortrags- und Diskussionsreihe, welche wir als Kapitaldruck mit einem Büchertisch begleiten werden.

Hier die Vorabinfos zur Reihe „“Kino und Gesellschaft“ organisiert durch die „AG Die kleinen Ladenmädchen gehen ins Kino“ und dem ersten Abend mit Liljana Radonic unter dem Titel „Die friedfertige Nationalsozialistin? – vom weiblichen Opfermythos“.

Text zur VEranstaltungsreihe:
Aufgeführt in einem kleinen schwarzen Buch, das aus den Tagen auf der Schulbank stammt. „Ch. Gerth Klasse 6b“  verrät noch das Ausradierte. Charlotte Gerth beginnt 1932 die Liste von einem sich in 35 Jahren nahezu 500fach wiederholenden Programmpunkt ihrer Freizeit: dem Kinobesuch. Filmtitel, Datum, einige Namen, ein kurzer Kommentar.
Die letzte Datierung findet sich auf einem dem Buch beigefügten Zettel: 1967. Ein Abrechnungsformular, auf dem dieselbe Handschrift geleistete Arbeitsstunden, Artikel und Lieferdaten in vorgedruckten Spalten vermerkt, wird rückseitig verwendet, um die aus der Verwaltung stammende Arbeitspraxis auf den ‚Rest des Tages‘ zu übertragen. Rückblickend zieht Charlotte Gerth hier Bilanz über ihre Liste der „Filme, die ich gesehen habe und die ich noch ungefähr weiß“. Im Buch zusammengehalten suggerieren die Einträge ein Inbesitznehmen des Kino-Erlebnisses. Dem passiven Konsum der Leinwand versucht Charlotte Gerth eine persönliche Handlung folgen zu lassen. Auswertung, in festgehaltener Form, die im ‚usw.‘ der Liste dem flüchtigen Leben etwas Überdauerndes abringen will.
Filmstars und abenteuerliche Stories waren den Ladenmädchen ebenso nah wie Schreibmaschine oder Kassenbuch. So lässt sich die Hoffnung auf das eigene ‚happy end‘ glaubhaft in den Berufsalltag tragen. Dazu Siegfried Kracauer: „Filmphantasien sind die Tagträume der Gesellschaft, in denen ihre eigentliche Realität zum Vorschein kommt, ihre sonst unterdrückten Wünsche sich gestalten.“ Charlotte Gerth zeitgenössisch:
14. 02. 32 Ein Schneefilm, sonst sehr lustig.
25. 11. 33 Ein Kriegsfilm, einfach wunderbar.
13. 04. 35 Ein Kameradschaftsfilm, wirklich wunderschön.
Eine Recherche, die ausgehend von dem gefundenen Buch das Verhältnis von Gesellschaft und Kino befragt, soll mit den öffentlichen Vorträgen vertieft werden.

Ankündigung zum Teil #1: „Die friedfertige Nationalsozialistin? – vom weiblichen Opfermythos“
Vortrag von: Liljana Radonic

Entgegen der Tatsache, dass Frauen als KZ-Aufseherinnen, Denunziantinnen, Fürsorgerinnen oder Frauenführerinnen an der antisemitischen Ausgrenzung und Vernichtung von Jüdinnen und Juden begeistert mitwirkten, wurden sie in feministischen Schriften gerne als auf die Mutterrolle reduzierte ‚Gebärmaschinen‘ dargestellt. Die Überbetonung der desexualisierten Mutterrolle blendet aus, dass der Nationalsozialismus für eine seinen Normvorstellungen entsprechende Sexualität viel Raum bot und frau im Bund deutscher Mädel etwa „ein bisschen was sehen und erleben“ konnte – der rassischen Sterilisations- und Vernichtungspolitik stand also die sexuelle ‚Befreiung‘ ‚arischer‘ Art gegenüber. Im Gegensatz dazu hat die ‚neue Frauenbewegung‘ jahrzehntelang im Sinne einer identitätsstiftenden Geschichtsschreibung entweder einen ‚weiblichen Opfermythos‘ vertreten oder ein positives Bild von der Frau im Nationalsozialismus gezeichnet, was nicht selten zu einer den Holocaust verharmlosenden und antisemitischen Argumentation führt(e). Während 1988 zum Jahr des Holocaust an den Frauen erklärt wurde, machte sich vor allem unter feministischen Theologinnen ein spezifisch weiblicher Antisemitismus breit.

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