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2. Teil: „Ich nehme Anteil, also bin ich.“ (full.version_empathy 2.0)

Wer sich tatsächlich „getraut“ hat, den Einladungstext zu lesen, möchte sich vielleicht auch an die full.version_empathy 2.0 wagen. Mögen eure Synapsen kochen, wie es Molukkas beim Schreibprozess getan haben.

„Ich nehme Anteil, also bin ich.“ – Zum Konzept der Empathie.

Auf der Suche nach einer Definition für den Begriff der empathy, einem Kunstwort, dessen Geburt im Sinne des hiesigen Verständnis von Empathie erst zu Beginn des 20.Jahrhunderts zu datieren ist, fiel bei genauerem Blick auf, dass in den Fassungsversuchen Formulierungen wie „sich einfühlen“, „sich hineinversetzen“ oder “sich hineindenken“ verwendet wurden. So beschreibt Nancy Eisenberg in Bezug auf Empathie und Sympathie das erste als „affective response that stems from the apprehension or comprehension of another’s emotional state or condition, and that is very similar to what other person is feeling or would be expected to feel“. Es schien sich also um einen Erschließungsprozess zu handeln, das Erfahren und das Einfühlen in die Gedanken- und somit auch Gefühlskosmen eines anderen Ichs, wobei das Schlüsselprinzip des Verstehens stets mitzuschwingen scheint.

Theodor Lipps sah in dem Phänomen des Einfühlens eine Artikulation des instinktiven Triebes, den er, neben dem Wissen von der objektiven Wirklichkeit des sinnlich Wahrgenommenen und dem Wissen von vergangenen eigenen Bewusstseinserlebnissen, deren man sich zu erinnern vermag, zu einer dritten Wissensart proklamierte. Das Ergründen eines anderen Mindsets, des Inneren eines anderen Ichs bedeutet sich in einen ‚Als-ob-Zustand‘ zu begeben, um sich dadurch in den Gegenüber hineinversetzen zu können; Björn Ekmann spricht hierbei von einem gespaltenen Bewusstseinszustand, bei dem eine ‚fremde‘ Erlebnisweise nachempfunden wird, wobei ein vergleichendes Mitwissen um die ‚eigene‘ stets die emphatische Wahrnehmung zu (prä-)figurieren vermag. Dementsprechend bildet das Wissen über die Bewusstseins-inhalte des Anderen, aus denen ein Individuum schließlich die Konstellation seiner Identitäten entwirft zum Einen eine Grundlage für eine Perspektivenübernahme. Zum Anderen ist das Wissen respektive das Bewusstsein über das fortwährende Eigene im Anderen als ein essentielles Moment innerhalb emphatischer Begegnungen anzuerkennen; denn immerhin weißt du erst, dass du vom vermeintlich „richtigen“ Weg abgekommen bist, wenn du Kenntnis über den vermeintlich „richtigen“ Weg besitzt.

Sich über seinen eigenen, nicht gänzlich ablegbaren Egozentrismus bewusst zu sein, fungiert gleichermaßen als Schutzschild vor eine selbst- vergessenen Identifikation im Sinne des vollkommenen Verschwindens des Eigenen im Anderen. In seinem Essay Moral Sentimentalism (2010) thematisierte Michael Slote die Gefahr einer gänzlichen Identifikation mit einem Nicht-Eigenen, indem er davor warnt mit diesem gänzlich zu verschmelzen und davon ausgeht, dass das empathische Individuum im Falle einer ehrlichen Empathiebezeugung den Status des Anderen als eine unterschiedliche Person niemals aberkennen sollte. Die Frage, inwieweit es einem Ego jedoch überhaupt möglich ist, sich von seinem Zentrismus gänzlich zu lösen, wäre an dieser Stelle mehr als berechtigt. Denn immerhin dienen bei der Einfühlung in andere Erlebniswelten immer noch die eigenen Wahrnehmungskategorien als Ordnungsinstanzen mit denen das Andere schließlich zu übersetzen versucht wird. Wie sollen sonst nicht-eigene Gefühlslagen nachvollzogen werden können, wenn sie sich doch der sinnlichen Wahrnehmung im Konkreten entziehen?

Wobei jedoch im gleichen Atemzug die Frage aufkommt, was die eigenen Gefühlswelten eigentlich zu den eigenen und somit „anders“ als die der anderen macht? Beruht unsere Interpretation unserer eigenen Gefühlswelt nicht ebenso auf der Interpretation nicht-eigener Gefühlsartikulationen? Ist wirklich die Menschheit zusammen erst der wahre Mensch? Ist jeder nicht nur eine Verkörperung von verinnerlichten Erfahrungen anderer? Ist unser Sein also untrennbar von unseren Beziehungen die wir mit anderen Lebewesen eingehen, womit die oft so klar erscheinende Trennlinie zwischen „ich“ und „du“ eine rein imaginäre wäre?

Trotzdem ist es wohl kaum abzustreiten, dass eine Annäherung an das Andere als eigentlicher Nährboden für empathisches Verhalten im dialektischen Sinne stets auch eine gewisse Distanzierung vom Eigenen impliziert. Geht es doch darum, sich auf den Versuch einzulassen, sich von sich selbst loszulösen, um auf das Andere eingehen zu können und als Begleitung einen anderen Weg einzuschlagen, vielleicht verbunden mit der Erkenntnis, dass die anderen Wege in abstrakter Form den eigenen gegangenen, gehenden oder zugehenden Wegen doch gar nicht so unähnlich sind? Somit liegt die Vermutung einer wechselseitigen Bedingtheit zwischen der Kenntnis über das Eigene und der Kenntnis über das Andere sehr nahe, wodurch sich eine starre Dichotomie zwischen dem Eigenen und Anderen nahezu als unhaltbar heraus- stellen könnte.

Die Transformation des Anderen zu einem Eigenen sowie die Transformation des Eigenen zu einem Anderen, stellen Prozesse einer Aneignung dar, deren eigentliche Selbstverständlichkeit vor allem vor dem Hintergrund einer von Narzissmus durchfluteten Gesellschaft, bereits zu einem „Ding der Unmöglichkeit“ mutiert zu sein scheint. Dabei deutet der Ursprung des Wortes self („selb“ im Deutschen) als Pronomen mit der Bedeutung „eigen“ und „gleich“ bereits auf einen ganzheitlichen (holistischen) Ansatz allen Seins hin, welcher ebenso in Lipps Ausführungen zur Einfühlung unter anderem anhand seiner verwendeten Metapher des menschlichen Körpers herausgelesen werden könnte: „In dem einzelnen menschlichen Körper sehen wir trotz aller der Mannigfaltigkeit, die er in sich schließt, ein in sich abgeschlossenes Ganze, einen Komplex des Zusammengehörigen, ein einziges Ding.“

Die Annahme der Existenz eines sogenannten Ganzen, eines Allgemeinplatzes im Sinne einer Universalie, welche alles Lebende zu verbinden scheint, kann durchaus als ein Schlüsselprinzip der Empathie angesehen werden. Geht es hierbei doch weniger um das Aufzeigen des Differierenden und vielmehr um das Entdecken und Erfahren des Gemeinsamen als Voraussetzung für das Verstehen und folglich auch der Akzeptanz dem anderen Ich gegenüber. Für Jean Paul Sartre ist jener Gemeinplatz die „Anwesenheit aller in mir“, es ist der Ort, der jedem gehört, wo sich jeder findet und wo jeder die anderen findet, denn „Sein Wesen ist die Allgemeinheit, um ihn mir anzuzeigen, bedarf es einer Tat: einer Tat, durch die ich auf meine Eigenart verzichte, um mich dem Allgemeinen anzuschließen, um die Allgemeinheit zu werden: nicht allen anderen ähnlich, sondern, genauer, die Inkarnation von allen anderen.“ Die Tat im Sinne einer Zurücknahme des sonst so dominanten Selbst, von der hier die Rede ist greift erneut die Notwendigkeit des Handelns auf, ohne welches ein Nachvollziehen oder vielmehr Nacherleben von Gefühlswelten nicht möglich ist. Der bewusste oder un(ter)bewusste Wille bzw. das individuelle Bestreben empathisch zu handeln und sich dafür zu entscheiden „den ersten Schritt“ zu wagen, ist zweifelsohne als ein Zeichen von Mut anzusehen, dem Mut sich im Ganzen zu fühlen.

Besonders angesichts der sich intensivierenden Entfremdungs- und Isolationstendenzen, die sich bei näherem Hinschauen, oder vielmehr Hinhören oft als die empfundene Nicht-Möglichkeit einer identifikatorischen Verortung enttarnen lassen, scheint sich die Kluft zwischen „zusammen“ und „miteinander“ (Addition statt Multiplikation) zunehmend zu vergrößern. Scheinbar mangelt es am authentischen Willen zu einem Versuch der Annäherung, da jene schnell als „Arbeit“ im negativen Sinne anstatt als ein Engagement im positiven Sinne wahrgenommen wird, und „Arbeit nervt!“.

Doch ohne Annäherung verharren die Dinge fortwährend fern der Vorstellungskraft und entziehen sich dem Verständnis, denn wir denken, sie nicht zu kennen oder bringen nicht den Mut auf sie kennenzulernen. Immer voreiliger wird den Dingen, die uns umgeben, und umso mehr den Dingen, welche uns nicht umgeben, das Label der Absurdität aufgedrückt, denn die Nicht-Möglichkeit des Fassens, im Sinne von greifbar machen, scheint eine genauere Inspektion der Dinge auszuschließen. Die Erkenntnis, nicht alles à la „Denken nach wissenschaftlicher Methode“ erfassen zu können, offenbart sich sukzessiv als ein Negativum, mit dem wir an die Ränder unseres Denkens vordringen. Während die Fähigkeit/Bereitschaft des Erfassens bereits ungehindert fetischisierte Formen angenommen hat, scheint die Fähigkeit/Bereitschaft des Erfühlens zusehends zu verkümmern: matters of fact > matters of concern? (à la Bruno Latour).

Wäre es also so abwegig zu vermuten, dass wir unserer aller Lebenswelt vor allem auf Grund eines Defizits an Verständnis als Artikulation mangelnder Identifikation, einen zunehmend hohen Grad an Absurdität zuschreiben? Könnten alle uns umgebenden Verrücktheiten folglich mittels einer perspektivischen Verschiebung, im Sinne einer möglichen Loslösung von der egozentristischen Perspektive hinzu einer empathischen Betrachtung, plötzlich gar nicht mehr als so ver-rückt erscheinen? Abgesehen davon, wäre ebenfalls die grundlegende Frage zu stellen, inwieweit der Ansatz des homo empathicus in einer Lebenswelt, in der der vermeintlich eigene Nutzen stets die höchste Priorität darstellt und somit das Prinzip des homo oeconomicus in pervertiertem Ausmaß zu herrschen scheint, überhaupt eine Chance besitzt? Oder ist es vielleicht möglich, dass diese Binarität, ähnlich der Binarität des Eigenen und Anderen gar nicht so absolut zu behandeln ist. Immerhin verschließt sich empathisches Verhalten nicht zwangsläufig einem Nutzen.

Einen interessanten Impuls dazu liefert Jeremy Rifkin in seiner Publikation The Empathic Civilization: The Race to Global Consciousness in a World in Crisis (2010) in Form seiner Ausführungen zur so genannten Theorie der verkörperten Erfahrung, die ihr Wirklichkeitsverständnis auf der Teilnahme und dem empathischen Miteinander begründet, denn: „Je stärker wir aufeinander und auf unsere Mitgeschöpfe eingehen, umso reicher ist die Wirklichkeit, in der wir leben.“ Die verkörperte Erfahrung, die sich aus Gefühl und Vernunft speist, bildet seiner Argumentation zufolge nicht nur die Basis empathischen Verhaltens, sondern besitzt darüber hinaus das Potential der Überwindung der Sein-Soll-Dichotomie des menschlichen Verhaltens. Empathie als Erweiterung des Geltungsbereiches der Moral?

All diese Fragen, verdienen und vor allem benötigen eine zweite Reflexion und deren Antworten sind ganz nach dem Credo der Empathie nur gemeinsam statt einsam zu suchen und vielleicht ist hiermit ein Schritt, ein Annäherungsversuch bereits getan.

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Für alle die, die tatsächlich bis hierher gelesen haben: keine Angst, am Freitag soll einfach nur geplaudert werden _locker flockig_ und für einen mehr als guten Zweck. In diesem Sinne: (zweite) Reflexion > Entertainment.

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Danke an Molukka.

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